Quelle: KI-generiert von J. Scriba mit Dall-E
Wegen leichter Überlastung im RL mal eine Doppelausgabe im Virtuellen.
Wir müssen mal wieder über Adobe reden. Bekanntlich brodelt es ja schon länger in Foto-Kreisen, seit der Branchen-Primus, zu dem die meisten Kreativen eine gewisse Hassliebe pflegen (wohl versorgt mit unverzichtbaren Werkzeugen, gefangen in rigiden Abo-Beziehungen), in seinen aktuellen Werbekampagnen damit kokettiert, man könne dank seiner mit immer mehr KI ausgerüsteten Produkte auf kamerabasierte Bilderzeugung in Zukunft immer öfter verzichten (Wochenpost 18).
Zwei große Berufsverbände, die britische Association of Photographers und die American Society of Media Photographers schrieben daraufhin offene Briefe an die Firma, bzw. deren Chef – je nach Gemütslage seriously not amused bis definitely pissed off. Zu lesen hier und hier.
Lieber Shantanu Narayan,
The Association of Photographers
Es ist offensichtlich, dass Adobe seine Integrität verloren hat.
Im Streben nach mehr Profit hat Adobe das Berufsleben von Millionen von Fotografen und Bildgestaltern aufgegeben.
Adobe,
wollen Sie all das, was Ihre treusten und loyalsten Kunden anstreben, abtun und verwerfen?
American Society of Media Photographers
Einstweilen legt Adobe massiv nach und stattet mit dem jüngsten Update auch Lightroom mit mächtigen KI-Funktionen aus. Das Programm ist eigentlich primär als Arbeitspferd der Bildverwaltung konzipiert und Rohdaten-Entwickler, also eine Art Vorstufe zur eigentlichen Bildbearbeitung. Die angebotenen Werkzeuge zur Modifikation der Fotos werden jedoch schon seit Jahren immer wirkmächtiger, so dass der Transfer nach Photoshop zum Pixelmeißeln für viele FotografInnen immer seltener nötig wird. Mit dem großen Update kommen nun auch generative Funktionen in die Hellkammer, wie etwa das komplette Entfernen von ungewollten Bildelementen durch KI-generierte Pseudo-Bildinhalte.
Quelle: Adobe
So kann man quasi schon beim Durchblättern umfangreicher Bildbestände nebenher unerwünschte Partygäste aus einem Bild verbannen oder störendes Zivilisationsmobiliar aus der mutmaßlich unberührten Landschaft verschwinden lassen.
Das ist für AnwenderInnen bequem, doch nebenbei wird damit der Übergang zwischen bildgewordener Realität und fiktivem Wunschbild immer fluider, wenn ein bewusster Wechsel zwischen Bildauswahl, bzw. „Entwicklung“ und Bearbeitung/Composing gar nicht mehr stattfindet.
Adobe versucht den Trend aktiv zu befeuern und möglicherweise auch der schlechten Stimmung der mutmaßlichen AltfotografInnen entgegenzuwirken und benutzt dafür unter anderem das Mittel des bezahlten redaktionellen Contents. So tauchte passend zum Produkt-Upgrade beispielsweise auf der vielgelesen Fotosite Petapixel dieser Artikel über die bekannte Reisefotografin Tiffany Nguyen auf.
Seit über einem Jahrzehnt, so ist in der Einleitung zu lesen „dokumentiere“ Nguyen „Landschaft und Kultur an einigen der fotogensten Orte der Welt“. Und da Ngyen auch „Lightroom Botschafterin“ ist, entschloss sie sich, einigen ihrer Lieblingsfotos mithilfe der neuen KI-Funktionen eine „moderne Überarbeitung“ zuteil werden zu lassen.
So verschwinden profane Besucher und Info-Fahnen aus einer Ausstellungsansicht des ehrwürdigen Natural History Museums in London:
Quelle: Tiffany Nguyen / Petapixel
oder ganze Gebäude und Stadtviertel aus einer malerischen Landschaft in Tailand:
Quelle: Tiffany Nguyen / Petapixel
Mithilfe von KI, so lässt sich die Fotografin im vom Adobe bezahlten Artikel zitieren, könne sie sich jetzt viel mehr auf das Wesen der Reisefotografie konzentrieren, statt Stunden am Rechner mit der Bildbearbeitung zu verbringen. Und auch sonst lässt die Botschafterin keine Gelegenheit aus, zu erwähnen, dass KI-Werkzeuge natürlich keineswegs in Konkurrenz zur menschlichen Kreativität stünden.
Immerhin macht Petapixel transparent, dass es sich bei dem Artikel um „brought to you by…“-Content handelt, und natürlich ist diese Art von Promotion ein übliches und legitimes Mittel der Werbung. Aber man muss sich schon fragen, wie es zusammenpasst, wenn Adobe einerseits mit großer Geste die Content Authenticity Initiative mit aus der Taufe hebt, deren Ziel es ist, authentisches Bildmaterial vor Manipulationen zu schützen und andererseits im Genre der Reisefotografie, das neben allem künstlerischen Gestaltungswillen der Bildschaffenden doch immer auch einen dokumentarischen Anspruch hatte, die Bildinhalte der kompletten Beliebigkeit anheimstellt.
Auch diese Beispiele werden interessanten Stoff für die Diskussion um Ethik, Berufsethos und Kennzeichnungskriterien und -pflichten in den kommenden Monaten und Jahren liefern, denn die Grenze zwischen Bildbearbeitung, Manipulation und Synthetisierung wird immer schwieriger auszumachen sein.
Die automatische Kennzeichnung von KI-generiertem Content, die Meta vor kurzem zur Eindämmung von böswilligen Bildmanipulationen angekündigt hat, schlägt derweil aus entgegengesetzter Richtung hohe Wellen. Immer häufiger beschweren sich FotografInnen darüber, dass sie entweder ohne jeden erkennbaren Grund oder mutmaßlich aufgrund von gänzlich harmlosem klassischen Wegstempeln von Kleinkram das diskrimierende Logo „made with AI“ auf gepostete Bilder gepappt bekommen.
Eine Hypothese, die beispielsweise hier diskutiert wird: Adobe Photoshop könnte etwas übereifrig bei jeglicher Art der Bearbeitung in den jüngst erweiterten Metadaten vorsorglich Hinweise auf KI-generierte Bildelemente einfügen.
Womit sich meine Sorge erfüllen könnte, dass früher oder später alle Bilder nach dem Muster des juristischen Freifahrtscheins „Serviervorschlag“ kategorisiert sein könnten, womit sich eine Kennzeichnung eigentlich gleich komplett erübrigt. Wie wäre es alternativ mit einer Art hippokratischem Eid für Reisefotografierende, der zulässige bildchirurgische Eingriffe definiert und alles andere zu Illustrationen erklärt?
Bis demnächst
Jürgen