Der Deutsche Fotorat setzt sich seit Herbst 2023 für die Anerkennung der Analogfotografie als immaterielles Kulturerbe ein. Ziel ist es, das Wissen um analoge Techniken der Fotografie als Kulturform für zukünftige Generationen zu sichern. Die Anerkennung bei der UNESCO muss in einem mehrstufigen Verfahren erfolgen; den Anfang machte ein Antrag im Bundesland Nordrhein-Westfalen, über den im Frühjahr 2024 positiv entschieden wurde. Die analoge Fotografie ist damit in das Landesinventar des Immateriellen Kulturerbes von Nordrhein-Westfalen eingetragen und zugleich nominiert für die Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis. Am 13. November fand in Düsseldorf eine feierliche Auszeichnungsveranstaltung der Landesstelle Immaterielles Kulturerbe NRW statt. Für den Deutschen Fotorat nahmen die DGPh-Mitglieder Ulla Born (Leica Galerie Düsseldorf), Simone Klein (Expertin für Fotografie im Kunstmarkt) und Klaus Pollmeier (Fotoingenieur, Dozent und Restaurator) teil. Nachfolgend der Redebeitrag von Klaus Pollmeier:
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
vielen Dank für die Gelegenheit, hier ein Statement für die analoge Fotografie anlässlich ihrer Aufnahme in das Landesinventar des Immateriellen Kulturerbes des Landes NRW abgeben zu dürfen. Die analoge Fotografie ist also eine schützenswerte Kulturtechnik geworden, ein immaterielles kulturelles Erbe von besonderem Wert? Das klingt im ersten Moment für jemanden, der mit der analogen Fotografie groß geworden ist, etwas seltsam. Schließlich ist alles, was wir als Menschen an fotografischen Bildern wahrnehmen, analog. Lange Reihen von digitalen Nullen und Einsen anzuschauen, wäre wohl auch ziemlich langweilig. Aber was hat denn nun der Einzug des Digitalen in die Welt der Fotografie so Schlimmes getan, dass wir heute glauben, das Wissen um seine analogen Vorläufer vor dem Aussterben bewahren zu müssen? Nun ja – er hat ganze Industrien zum Einsturz gebracht. Agfa, Kodak, ORWO, Polaroid und viele andere sind von der Bildfläche verschwunden. Na und? Man könnte sagen: Die haben eben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Der Gang der Dinge im Wirtschaftsleben. So what …
Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Irgendetwas muss an der analogen Herangehensweise grundsätzlich anders und faszinierend sein, denn wie sonst ließe sich die große Zahl der Polaroid- oder Plattenkamera-Liebhaber, der Lochkamera-Benutzer und Kleinbild- oder Mittelformat-Fotografen erklären, die momentan eine Renaissance der analogen Fotografie auslösen? Gute analoge Kameras, Vergrößerungsgeräte und Laborzubehör sind inzwischen so gesucht wie gute Plattenspieler. Von der Aufnahme bis zum Abzug – handgemachte Fotos erfreuen sich nicht nur bei jüngeren Menschen steigender Beliebtheit. Sogar auf der Messe Paris Photo waren moderne Ambrotypien, Cyanotypien und Platin-Palladiumdrucke auffallend präsent. Und wenn Leica sich entscheidet, mit der M 11 eine neue analoge Kamera auf den Markt zu bringen, dann sicher nicht aus emotionalen Beweggründen oder weil man sich einer Unternehmenstradition verpflichtet fühlt, sondern weil die Verantwortlichen eine entsprechende Nachfrage spüren.
Warum geschieht das alles? Ich glaube, die Antwort ist einfacher, als man denkt und findet sich im Wesen des Menschen selbst. Wobei pure Nostalgie nach dem Motto „Früher war alles besser“ als Erklärung zu kurz greift. Natürlich war es früher nicht besser. Und schaut man sich die technische Bildqualität heutiger Digitalfotos an, dann ist diese weitaus perfekter, als es das analoge Foto jemals war. Es ist die Umwandlung der Natur in Zahlen, in etwas Messbares, Berechenbares und Unzweifelhaftes, das neben aller Bewunderung für die damit verbundene Perfektion auch ein unterschwelliges Misstrauen gegenüber der Vereinnahmung durch das Digitale auslöst. Hand aufs Herz: Wer will schon so perfekt sein wie ein Computer? Wer will auf jede Unwägbarkeit oder Interpretierbarkeit verzichten, auf jede Störung im System? Welche Unfreiheit wäre das? In seiner Reduktion der Welt auf Einsen und Nullen und absolute Fehlerfreiheit wohnt dem Digitalen etwas zutiefst Unmenschliches inne.
Das hat die Computerindustrie natürlich erkannt und zu vertuschen versucht, indem sie die Rechner-Interfaces mit Attributen ausstattet, die uns aus der analogen Zeit vertraut sind, einem „Schreibtisch“ etwa, „Ordnern“ oder einer digitalen Dunkelkammer namens Photoshop, mit der sich Rechenprozesse als Handgriffe darstellen, wie wir sie aus der Arbeit mit Filmen und Fotopapieren kennen.
Dabei ist es gar nicht einmal die digitale Perfektion allein, die viele skeptisch macht. Auch analoge Fotografie hat immer nach Perfektion gestrebt. Aber sie tat das mit einem vom Menschen nachvollziehbaren Aufwand und, wenn man wollte, sehr selbstbestimmt, fehlerbehaftet, körnig und immer auch von einem analogtypischen Rauschen begleitet. Erst dieses Rauschen aber (und der Aufwand, es zu unterdrücken …) macht den Wert einer Information für uns Menschen fassbar. Erst die Störung der Perfektion und das Ungenaue fordern auf zur bewussten Entscheidung für das eine oder das andere – oder eben auch für das „dazwischen“ – und ermöglicht so den menschlich-künstlerischen Akt. Ein klassisches Konzert ohne Husten? Unmenschlich. Wir brauchen die Störung im System, um das System wahrzunehmen. Erst das Staubkorn in der Negativbühne des Vergrößerers verschafft die notwendige Distanz zu dem ja doch nur vordergründig perfekten Bild. Deshalb müssen wir das Wissen um das Analoge bewahren: um des Menschen willen.
Klaus Pollmeier
Foto: v.l.n.r.: Ralf Brachtendorf (Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW), für den Fotorat/DGPh: Simone Klein, Klaus Pollmeier und Ulla Born sowie Stefan Ast (NRW Stiftung). Foto: Judith Büthe